„Lesende soll man nicht aufhalten“, sagt der Volksmund, und wenn er dies sagt, so spricht aus ihm die Ehrfurcht vor dem Reisenden im Geiste. Denn nichts anderes ist er doch, wenn er sich unerbittlich durch die Gehirnwindungen eines Fremden frisst. „Lesende soll man nicht aufhalten“, fordert der Volksmund, nicht ahnend, dass mit der Erfindung des Buchdrucks der Niedergang des Abendlandes besiegelt wurde. Und jetzt auch noch dies: ein Tag zu Ehren des Buches! Ja, begreifen wir denn gar nicht, dass wir mit jedem neuen Lesenden nur weiter auf den Abgrund zusteuern?
Die PISA-Studie steht auf wackeligen Beinen: Der deutsche Schüler verdummt nicht, weil er zu wenig liest, nein soviel liest er, dass er darüber das Denken vergisst und das Lernen verlernt. Stampft die Bücher ein! Denn in der beschleunigten Welt ist das Buch ein Bremsklotz. Dass Lesen bildet, ist die Bildungsbürgerlüge Nummer eins. Mit jedem nach-gedachten Gedanken eines anderen, entfernen wir uns nur weiter von den Möglichkeiten in uns selbst. Schillers “Glocke” und Goethes “Faust” lähmen die Kreativität im Land der Dichter und Denker seit Generationen. Mit den Übervätern war die Sinnkrise vorprogrammiert. Begreifen wir das Ende des “Schiller-Jahrs” als Chance: Verbrennt die Bücher! Freie Sicht auf die Alpen.
Es wird für gewöhnlich angenommen, dass der Lesende von edlem Gemüt sei, weil er die Einsamkeit der eigenen Wohnstube der lärmigen Betriebsamkeit der Welt draußen vor der Tür vorzieht.
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Doch wenn der adelige Misanthrop sich in seine dunkle Behausung zurückzieht, ist Gefahr im Verzug. Nicht etwa, weil er in den abgeschiedensten Winkeln der Republik den Aufstand probt oder in Gedanken die Revolution ausruft. Nein, ganz im Gegenteil: Weil dort nichts, aber auch gar nichts passiert, als dass der Mensch in der Vereinzelung immer kleiner wird und als ein Selbst verschrumpelt, bis von ihm nurmehr ein Körnlein fremden Gedankens aus dem Staube der verwinkelten Wohnung aufblitzt. Machen wir endlich Schluss damit.
Lesen vernebelt uns den Geist
Es ist nicht überliefert, ob Newton las, als ihm, unter einem Baum liegend, jener Apfel auf den Kopf fiel, der zu weltweiter Berühmtheit gelangte, weil er den Physiker die Schwerkraft lehrte. Es ist anzunehmen, dass der Tag schön genug war und Newton einfach nur dachte und lag. Diogenes, das wissen wir, verließ seine Tonne nur selten (unterstellen wir, dass es viel Platz für Bücher dort nicht gab), bevorzugt zur Mittagsstunde, um am helllichten Tag mit der Laterne auf dem Marktplatz nach Menschen zu suchen. Werden wir wieder welche. Der Mensch ist das voraus-denkende, sprechende, liebende Tier. Aber das Lesen vernebelt uns den Geist. Während wir auch nur ein einziges Buch lesen, vervielfältigt sich das menschliche Wissen unaufhörlich weiter. Hat man je den volkswirtschaftlichen Schaden aufsummiert, den die Lesenden anrichten, wenn ihr Müßiggang jenseits der Reichweite des Bruttosozialprodukts eitle Urstände treibt?
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